Der Verein «Schützt das Kiental» hat sich zur Aufgabe gesetzt, die Natürlichkeit des Kientals und das Eidgenössische Jagdbanngebiet
Als im Laufe des 19. Jahrhunderts die Bestände wildlebender Huftiere in der Schweiz wegen des hohen Jagddrucks und des sehr schlechten Zustands der Wälder einen Tiefpunkt erreichten, hatte der Bundesrat entschieden, in der gesamten Schweiz Gebiete zum Schutz des Wildes auszuscheiden. Im Einvernehmen mit den Kantonen wurden bis heute 42 eidgenössische Jagdbanngebiete gegründet, vier davon im Kanton Bern. Mit
einer unter besonderen Schutz gestellten Gesamtfläche von rund 150'900 ha, stellen die eidgenössischen Jagdbanngebiete einen nicht unbedeutenden Teil des ökologischen Netzwerks der Lebensräume in der Schweiz.
1891 wurde der Bannbezirk Kander-Kien-Suldtal gegründet. Das Jagdbanngebiet hat sich in seinen Grenzen mehrmals verändert, die letzten leichten Anpassungen fanden vor rund 30 Jahren statt. Warum der Kanton Bern das Kiental zu einem Bannbezirk erkoren hatte, können wir heute nur vermuten. Augenscheinlich ist, dass das Gebiet nicht nur landschaftlich attraktiv ist, sondern auch viele Naturwerte besitzt. Verschiedene Bereiche im Kiental wurden später in die Bundesinventare der national bedeutenden Lebensräume aufgenommen:
Der hintere Teil des Schutzgebiets zwischen Gamchi, Blüemlisalphütte und Gspaltenhorn mit seinem Gletschervorfeld, den alpinen Pionierflächen und Rasen ist ein Auengebiet von nationaler Bedeutung, aufgenommen ins Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler sowie Teil des UNESCO-Welterbes
Jungfrau-Aletsch. Die im Kiental noch anzutreffenden Trockenwiesen und -weiden sind das Ergebnis einer jahrhundertelangen extensiven Bewirtschaftung und einer traditionellen Landwirtschaft. Sie weisen eine hohe Biodiversität auf und bieten rar gewordenen Lebensraum für viele bedrohte Pflanzen und Tierarten der
nationalen Roten Listen. Der sich 1972 nach einem grossen Gewitter gestaute Tschingelsee wurde 15 Jahre später zum kantonalen Naturschutzgebiet. Die natürliche Dynamik hat den See verlanden lassen, geblieben ist ein national bedeutendes Auengebiet, welches in seiner Art nicht vielerorts anzutreffen ist. Deshalb wurde auch der kantonale Naturschutzbeschluss im 2022 den heutigen Herausforderungen angepasst.
Den ursprünglichen Auftrag, nämlich die desolaten Wildbestände zu verbessern, haben die Jagdbanngebiete im Laufe der letzten 100 Jahre erfüllt. Damit sind sie jedoch nicht im Geringsten überflüssig geworden, im Gegenteil: In einer stark besiedelten Schweiz und einer von vielen Seiten unter Druck stehender Natur, dienen die eidgenössischen Wildtierschutzgebiete heute primär dem Schutz und der Erhaltung von seltenen und bedrohten wildlebenden Säugetieren und Vögeln und ihrer Lebensräume.
Eine Vielzahl an Interessen machen diesen bundesrechtlichen Auftrag im Kiental zu einer komplexen Aufgabe, denn es ist eines der intensiv genutztesten Jagdbanngebiete der Schweiz: Das Seitental des Kandertals ist Wohn- und Lebensraum für rund 200 Personen, Land- und Forstwirtschaft haben einen hohen Stellenwert. Es ist eine beliebte Feriendestination und der Tourismus stellt ein wichtiger Wirtschaftszweig dar. Dem Freizeitnutzenden sind winters wie sommers eine Vielzahl an Aktivitäten möglich und es herrscht das ganze
Jahr über Betrieb im Schutzgebiet. Diese menschlichen Bedürfnisse bieten nicht selten Konfliktpotential gegenüber den Bedürfnissen der Wildtiere. So führt eine regelmässige Störung der Wildtiere in ihrem Einstand, in Setz- und Brutgebieten oder Ruheplätzen im Winter (z.B. Schneehühner in ihren Schneehöhlen) oder eine landwirtschaftlich intensivierte Nutzung zu Lebensraumverlust. Im Sommer konkurriert eine Vielzahl von Nutztieren mit den Wildtieren um die Nahrungsgrundlagen und dabei können auch Krankheiten wie Gämsblindheit oder Moderhinke in die Wildbestände eingebracht werden. Während Wildtiere im Winter möglichst viel Ruhe brauchen um ihre Energiereserven zu sparen, sind zahlreiche Skitourenfahrer und Schneeschuhwanderer auf dem dichten Routennetz unterwegs, leider oft auch abseits der Routen.
Das Kiental ist ein wertvolles Gebiet für Flora und Fauna, welches es in seiner Art zu erhalten gilt. Denn der menschliche Druck auf die Lebensräume ist gross. Damit diese bestehen bleiben oder dort wo nötig verbessert werden, bedarf es weiterhin unsere Anstrengung: beispielsweise dem Festhalten an einer sanften touristischen Nutzung, die konsequente Lenkung der Menschen in ihrem Freizeitverhalten zum Schutz der Wildtiere vor Störung, den verstärkten Verzicht auf eine Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung oder die Anpassung
der Alpsömmerung an die Bedürfnisse der Wildtiere. Auch die ansteigende Hirschpopulation, rückgängige Gamsbestände, das vermehrte Aufkommen von Grossraubtieren oder der Erhalt der Raufusshühnerlebensräume werden zukünftig herausfordernd bleiben.
Ein Neben- oder gar Miteinander von Mensch und Natur ist möglich, geschieht aber nicht von selbst. Dafür müssen sich die Gemeinde, der Kanton, Schutz- und Nutzorganisationen gemeinsam einsetzen und Lösungen finden die den Schutzzielen des eidgenössischen Wildtierschutzgebiets und dem Wert der vorhandenen Lebensräume für Flora und Fauna Rechnung tragen; oftmals hat dies mit Verzicht zu tun. Nicht zuletzt müssen sich sensibilisierte Besucher rücksichtsvoll verhalten und die im Schutzgebiet geltenden Regeln einhalten. Nur wenn wir uns alle gemeinsam bemühen, werden auch künftige Generationen die Möglichkeit haben, dieses Landschaftsjuwel mit seinen wilden Bewohnern kennen zu lernen.
Autor: Christian Heeb, Fachbereichsleiter Wildtiere
Wirtschafts-, Energie- und Umweltdirektion des Kantons Bern,
Amt für Landwirtschaft und Natur, Jagdinspektorat
Schwand 17, 3110 Münsingen
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